von Benedikt Geier, Felix Bernhard, Maximilian Jacob, Sandra Mechler & Clemens Walter
Wir begegnen ihr in verschiedenen Situationen und Kontexten - sei es zu Hause beim frühmorgendlichen Kaffee, auf der Autofahrt zum Sport oder auf dem Weg zur Arbeit - Musik (Anderson et al., 2020). Doch Musik ist weit mehr als nur eine Freizeitbeschäftigung. Sie kann uns auch emotional beeinflussen. So kann sie starke emotionale Reaktionen wie zum Beispiel Trauer hervorrufen. Gleichzeitig können wir uns durch das Hören von Musik mit anderen Personen verbunden fühlen (De Leeuw et al., 2022). Doch gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen unserem Hörverhalten und der Stimmung, die wir haben?
In dem Forschungsprojekt The Digital Jukebox Revisited: Applying Mood Management Theory to Algorithmically Curated Music Streaming Environments von Alicia Ernst, Felix Dietrich, Benedikt Rohr, Prof. Dr. Leonard Reinecke und Prof. Dr. Michael Scharkow (alle JGU Mainz) wurde diese Gesamtthematik näher betrachtet. Im weiteren Verlauf dieses Blogbeitrags werdet ihr erfahren, was die genauen Ziele und Ergebnisse der Studien waren, welche Methode verwendet wurde und was die Forscher*innen selbst zu ihrer Untersuchung sagen.
Die Mood-Management-Theorie (MMT) von Dolf Zillman (1988) bildet die theoretische Grundlage der Studie. Die MMT besagt, was unsere Medienauswahl beeinflussen kann und welche Medien dann verwendet werden (auch Selektion genannt). Laut der MMT dienen Medien nicht nur als Vermittler von Informationen, sondern wirken sich auch auf unsere Stimmung aus. Was wir in den Medien sehen oder hören, kann unsere Gefühlslage also in eine bestimmte Richtung beeinflussen. Je nachdem in welcher Stimmungslage wir sind, versuchen wir diese zu regulieren. Wenn wir zum Beispiel gestresst oder angespannt sind, versuchen wir oft unsere Stimmung auszugleichen - das nennt man Stimmungsausgleich. Ein Mittel für diesen Ausgleich ist Musik. Die Musik, die wir wählen, hat viel mit unserer aktuellen Stimmung zu tun oder kann sie sogar beeinflussen. Musik kann Emotionen vermitteln und spielt eine wichtige Rolle dabei, wie wir uns fühlen. In stressigen Zeiten greifen viele Menschen bewusst zu bestimmten Musikstilen oder Liedern, die ihnen helfen zu entspannen oder positive Gefühle zu erleben. Unsere Musikauswahl kann also auch von unserer Stimmung abhängig sein.
Die Forschenden wollten einen umfassenden Einblick in das Themengebiet erlangen. Zu diesem Zweck haben sie 144 Teilnehmende über einen Zeitraum von 14 Tagen zu sechs verschiedenen Zeitpunkten pro Tag befragt. Gleichzeitig wurden die Spotify-Nutzungsdaten der Teilnehmer*innen während dieses Zeitraums erfasst. Die Interviews begannen mit Fragen zur aktuellen Stimmung der Teilnehmenden, gefolgt von spezifischen Abfragen zu ihrer letzten Spotify-Nutzungssession. Durch die Wahl dieser Methode erhoffte man sich, dass sich die Teilnehmenden zum Zeitpunkt der Befragung noch sehr gut an ihre letzte Nutzungssession erinnern konnten. In der Studie wurden also nicht nur klassische Befragungsdaten erhoben, die Einblicke in das Unterhaltungserleben lieferten, sondern auch Spotify-Nutzungsdaten, die von der Plattform bereitgestellt wurden. Diese Vorgehensweise erlaubte es, die persönlichen Eindrücke der Teilnehmenden mit objektiven Nutzungsmustern zu verbinden. Die Teilnehmenden waren im Schnitt 22 Jahre alt, ein Großteil davon war weiblich (s. Abbildung 1). Außerdem waren die meisten Teilnehmenden zum Zeitpunkt der Befragung an einer Hochschule oder Universität immatrikuliert (s. Abbildung 2).
Abbildung 1: Geschlechterverteilung (in Prozent)
Abbildung 2: Verteilung der Tätigkeiten
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Musikwahl hauptsächlich von der aktuellen Stimmung und weniger von individuellen Persönlichkeitsmerkmalen beeinflusst wird.
"Stimmung und Musikauswahl sind situationsbedingte Phänomene, weniger persönlichkeitsabhängig." (Alicia Ernst)
Das bedeutet, dass Menschen dazu tendieren, Musik entsprechend ihrer aktuellen Stimmung auszuwählen: Bei positiver Stimmung bevorzugen sie also fröhliche Musik, während sie bei negativer Stimmung eher langsame oder traurige Musik auswählen. Somit kann man sagen, dass wir unsere Songauswahl der akuten Gefühlslage anpassen. Diese Erkenntnisse stehen allerdings im Widerspruch zu der sogenannten Mood-Management-Theorie, die wie bereits weiter oben beschrieben besagt, dass Nutzende stets eine Verbesserung ihrer Stimmung anstreben.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Musik, die wir hören, wirklich durch unsere Stimmung beeinflusst wird. Musik ist also nicht nur ein alltäglicher Begleiter, sondern eine Möglichkeit unsere Stimmung auszudrücken. Besonders interessant ist, dass Menschen nicht wie theoretisch angenommen, immer danach streben ihre Laune zu heben. Vielmehr werden Titel so ausgewählt, wie man sich gerade fühlt.
Neben diesen gesellschaftlichen Erkenntnissen bietet die Studie aber auch einen großen wissenschaftlichen Mehrwert. Besonders die Herangehensweise der Forschenden ermöglicht neue Einblicke: “Der untersuchte Zusammenhang wurde bisher vor allem im Labor getestet. Mithilfe von modernen Methoden, wie dem Einbinden von digitalen Verhaltensdaten, hatten wir nun die Möglichkeit, den Zusammenhang zwischen Musik und Stimmung auch möglichst verlässlich im „echten Leben“ zu erforschen“, erklärt Alicia Ernst zum wissenschaftlichen Mehrwert ihrer Studie. Zudem stellen die Ergebnisse bisherige theoretische Annahmen in Frage. Dies bildet einen wichtigen Ansatzpunkt für weitere Studien.
Abschließend sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die gemessenen Effekte sehr klein waren. Das heißt, dass es noch von einigen anderen Dingen abhängt, welche Musik wir am Ende auswählen. Unsere Stimmung kann das nur teilweise erklären. Dies schränkt die Studie nicht ein, sollte jedoch im Hinterkopf behalten werden, wenn über die Ergebnisse gesprochen wird. Die Studie ist also ein erster wichtiger Hinweis, dass wir Musik passend zu unserer Stimmung auswählen. Jetzt gilt es, weiter zu forschen und noch besser zu verstehen, wann wir welche Musik auswählen und wie wir unsere Stimmung hierbei zum Ausdruck bringen.
Literatur
Anderson, A., Maystre, L., Anderson, I., Mehrotra, R., & Lalmas, M. (2020). Algorithmic Effects on the Diversity of Consumption on Spotify. Proceedings of The Web Conference 2020, 2155–2165. https://doi.org/10.1145/3366423.3380281
De Leeuw, R. N. H., Janicke-Bowles, S. H., & Ji, Q. (2022). How Music Awakens the Heart: An Experimental Study on Music, Emotions, and Connectedness. Mass Communication and Society, 25(5), 626–648. https://doi.org/10.1080/15205436.2021.1956542
Zillmann, D. (1988). Mood Management Through Communication Choices. American Behavioral Scientist, 31(3), 327–340. https://doi.org/10.1177/000276488031003005