von Annalena Daniel, Leonie Hamann, Jan Papendorf, Helen Spiller & Leonard Stolz
Eine leichte Erkältung in der kalten Jahreszeit, Zoonosen wie die “Schweinegrippe” oder “Vogelgrippe” oder auch die Covid-19-Pandemie, die in den letzten 3 Jahren die Welt bewegt hat. Dies sind nur einige Beispiele aus den letzten Jahrzehnten, die den Bereich der Gesundheitskommunikation stärker in das Bewusstsein der Bevölkerung gerufen haben. Gesundheit und Krankheit ist somit nicht nur in den Laboren und Kliniken beheimatet, sondern hat auch die soziale und wissenschaftliche Bühne betreten.
Aber was bedeutet Gesundheitskommunikation überhaupt und was ist ihr Ziel?
In der Forschung wird die Gesundheitskommunikation als recht junges Forschungsfeld eingestuft und kann daher – je nach Fachrichtung und Forschungsgegenstand - unterschiedlich definiert werden. Gesundheitskommunikation kann zum einen als Forschungsfeld der Gesundheitskommunikationswissenschaft an sich verstanden werden, zum anderen aber auch als Überbegriff für verschiedene Forschungsgegenstände im Bereich der gesundheitsbezogenen und gesundheitsrelevanten Kommunikation. Kurz gesagt ist Gesundheitskommunikation also ein Überbegriff für eine Vielzahl an Forschungsthemen rund um Gesundheit, Krankheit und Kommunikation. Der Begriff stammt ursprünglich aus Nordamerika und leitet sich vom englischen Begriff “Health Communication” ab. Er beschreibt konkret den gewollten Kommunikationsprozess über Krankheit und Gesundheit.
Aber wo findet das Ganze statt?
Wenn wir ehrlich sein wollen, lautet die Antwort: Überall. Online und offline kursieren Gesundheitsbezogen Informationen. Auf verschiedenen Plattformen, Social Media, Blogs, Apps und digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGAs) aber auch in der Politik, dem Gesundheitssektor, den Schulen und Universitäten.
Gesundheitskommunikative Prozesse sind dabei allgegenwärtig – sie sind der Schlüssel zur gesundheitlichen Aufklärung und somit das Herzstück einer gesunden Gesellschaft. Forschende auf dem Gebiet wissen, dass das Verstehen, wie Personen an Gesundheitsinformationen kommen, keine belanglose Angelegenheit ist. Hier entscheidet sich, ob bestehende Wissenslücken gefüllt oder vergrößert werden. Wie wir erfolgreich durch den Dschungel an Informationen navigieren, ist nicht nur für jeden Einzelnen, sondern auch für die Gesellschaft und letztendlich auch die Wissenschaft von unschätzbarem Wert. Denn Gesundheitskommunikation ist nicht nur eine Fülle an medizinischen Fachbegriffen, sondern vielmehr der Schlüssel zur Erweiterung unseres gesundheitsbezogenen Wissens und zur Bildung eines umfassenden Gesundheitsbewusstseins. Dieses beginnt zunächst beim Individuum, überträgt sich jedoch nachweislich auf dessen Umwelt.
Doch es gibt es ein zentrales Problem:
Aus der Gefahr heraus, das erworbene Wissen könne unangenehme Pflichten oder Handlungen fordern, neigen wir im Alltag dazu, manchmal lieber die Augen zu verschließen, als sich den unangenehmen Fakten zu stellen. Sich dieser zu entziehen, zeigt sich als Ursache für das sogenannte "Blunting". Die Angst vor Verhaltensänderungen und die daraus folgende Verzerrung der Risikowahrnehmung durch sind nur die Spitze des Eisbergs. Dabei sind die Wissenslücken der Menschen nicht nur persönliche Geheimnisse, sondern eher gesundheitsbezogene Bedürfnisse, die in der Öffentlichkeit Gehör finden müssen. Der Umgang mit Gesundheit steht auf diese Weise als Gegenstand eines Diskurses, der gewissen Kultivierungseffekten unterliegt. Die Auswirkungen reichen dabei jedoch über das Individuum und die Gesellschaft hinaus. Kampagnen zur Beeinflussung der Regierung und die Mechanismen sozialer Medien sind keine Randerscheinungen. Algorithmen erkennen Vermeidungsstrategien und passen Inhalte an das Nutzungsverhalten an, wodurch das Vermeidungsverhalten in seiner Blüte bestätigt und verstärkt wird. In dieser ständigen Informationsachterbahn ist eines klar: Gesundheitskommunikation ist nicht nur ein Mittel zum Zweck, sondern eine entscheidende Kraft für die individuelle Aufklärung, die Stabilität der Gesellschaft und den Fortschritt der Wissenschaft.
Meinungsführende von Gesundheitskommunikation müssen ihre Antennen also auf die individuellen Bedürfnisse richten und so zur maßgeschneiderten Informationsquelle für Patient:innen und die breite Öffentlichkeit werden, um Wissensklüfte und die drohende Differenzierung und Vermeidung des Wissens vorzubeugen.
Gesundheitskommunikation im wissenschaftlichen Fokus
Im wissenschaftlichen Diskurs spielen verschiedene Theorien, Modelle und Konzepte eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, Informationsvermeidung und die zugrundeliegenden psychologischen Mechanismen zu erklären. Ein zentraler Begriff in diesem Kontext ist die Informationsvermeidung, die sich auf proaktive Strategien bezieht, welche darauf abzielen, die Aufmerksamkeit von bestimmten verfügbaren Informationen abzuwenden. Das Ausmaß der Informationsvermeidung variiert dabei je nach Art des Inhalts und der Quelle. Informationsvermeidung kann als Bewältigungsverhalten betrachtet werden, das besonders dann auftritt, wenn das Lernen oder Erinnern von Informationen mit negativen Emotionen verbunden ist. Das RISP (Risk Information Seeking and Processing) ist eines der umfassendsten Modelle im Zusammenhang mit der Suche nach Risikoinformationen. Es konzentriert sich auf kognitive und sozialpsychologische Motivatoren für Verhalten und bietet eine Erklärung dafür, wie Menschen auf Gesundheitsrisikobotschaften reagieren. Basierend auf dem Heuristic Systematic Model von Chen & Chaiken (1993) führt das RISP sieben zentrale Faktoren ein, die die Variationen im Verhalten bei der Informationssuche und -verarbeitung bestimmen. Dazu gehören unter anderem individuelle Eigenschaften, wahrgenommener sozialer Druck oder affektive Reaktionen. Für das vorliegende Forschungsprojekt für Informationsvermeidung wird das RISP zudem durch das Planned Risk Information Seeking Model ergänzt. Zusätzlich fließen konstruktspezifische Untersuchungen ein, die spezielle Komponenten wie soziale Normen vertiefen. Überblicksartikel zum Thema Informationsvermeidung sowie Studien, die das Auftreten und die Prädiktoren von Informationsvermeidung, während der COVID-19-Pandemie beleuchten, werden ebenfalls berücksichtigt.
Wie wird die Problematik der Informationsvermeidung empirisch untersucht?
Auf der theoretischen Grundlage identifizierte Link verschiedene Ursachen der Informationsvermeidung (u.a. Informationsüberlastung, Informationsmangel, Einstellung zur Informationssuche, Vermeidungsnormen, negative affektive Risikoreaktionen) und stellte entsprechende Hypothesen auf. Die empirischen Daten zur Hypothesenüberprüfung wurden anhand einer Online-Befragung mit 1000 Teilnehmer:innen erhoben. Die Befragung erfolgte im Bundesland Niedersachsen während des ersten deutschen Lockdowns im Mai 2020, wobei die Proband:innen über ein Online-Access-Panel eines Marktforschungsunternehmens rekrutiert wurden. Innerhalb der Befragung wurden nach Einleitung, Einverständniserklärung und Demografie die relevanten Konstrukte abgefragt. Der Altersdurchschnitt der Stichprobe lag bei 47 Jahren mit einem ausgeglichenen Geschlechterverhältnis.
Welche Ergebnisse lassen sich aus den Studien ableiten?
Die Studienergebnisse von Link zeigen, dass Personen häufiger Online-Quellen meiden (Websites, soziale Medien) als zwischenmenschliche Quellen. Insgesamt gaben 34,1% der Befragungsteilnehmer an, in gewissem Maße Informationen zu vermeiden. Der höchste Anteil der Befragten gab an, COVID-19-bezogene Informationen in sozialen Medien (38,8 %) und auf Websites (37,7 %) (vollständig) zu meiden. In persönlichen Gesprächen mit Familie und Freunden stimmten nur 11,4 % zu, das Gespräch über COVID-19 aktiv zu vermeiden. Dieses Misstrauen lässt sich unter anderem durch die vielen Fehlinformationen in Online-Quellen erklären. Zudem wird Informationsvermeidung durch negativere Reaktionen wie Angst oder Unsicherheit, oder durch negativere Einstellungen zur Informationssuche sowie durch Überlastung der Informationsflut verstärkt. Informationen werden außerdem häufiger vermieden, wenn diese Vermeidung von relevanten anderen Personen als ein häufig ausgeführtes Verhalten wahrgenommen wird (Vermeidungsnormen). Informationsmangel ist hingegen für die Informationsvermeidung weniger relevant.
Zudem weist eine weitere Forschung von Link und Kolleg:innen darauf hin, dass anfällige Personengruppen der Nicht-Nutzung und Informationsvermeidung vor allem Männer sowie niedrig gebildete Personen sind. Diesen Personengruppen stehen die fehlenden Informationskompetenzen und Bewältigungsressourcen sowie ein geringes Risikobewusstsein als Barrieren zur Informationsaneignung im Weg. Die Forschung von Link und Kolleg:innen zeigt, dass Gesundheitskommunikation gezielt und zielgruppengerecht aufbereitet werden muss.
Welche Limitationen weisen diese empirischen Erkenntnisse auf?
Die vorliegenden Studien weisen dennoch einige Limitationen auf. Zum einen kann eine genaue Messung des Vermeidungsverhaltens problematisch sein, da Personen möglicherweise nicht in der Lage sind, ihr Vermeidungsverhalten mit der erforderlichen Genauigkeit anzugeben. Die Studie basiert auf Querschnittsdaten, und die zugrunde liegenden Kausalitätsaussagen beruhen ausschließlich auf theoretischen Annahmen. In der zukünftigen Forschung sind Längsschnittstudien erforderlich, um kausale Zusammenhänge zu analysieren und die Dynamik der Informationsvermeidung und ihrer Ursachen während einer Gesundheitskrise zu analysieren. Zudem hat der Zeitpunkt der Erhebung während der Frühphase der COVID-19-Pandemie die Ergebnisse möglicherweise beeinflusst. Es wurde eine relativ große Stichprobe erfasst, aber dabei wurde lediglich ein deutsches Bundesland berücksichtigt. Daher muss die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf die gesamte deutsche Bevölkerung oder sogar auf andere Länder kritisch geprüft werden. Zukünftige Studien sollten auch die Einstellungen zur Informationsvermeidung anstelle der Informationssuche als relevante Referenz für das zu untersuchende Verhalten berücksichtigen. Darüber hinaus sollte zukünftige Forschung verschiedene Einflussmuster der Anfälligkeit und Schwere untersuchen, verschiedene soziale Normen unterscheiden und Emotionen umfassender berücksichtigen. Während die vorliegende Studie nur negative affektive Reaktionen einbezieht, sollte künftige Forschung zusätzlich zu positive Reaktionen andere Emotionen berücksichtigen.
Was sind mögliche Handlungsimplikationen der Gesundheitskommunikation?
Trotz der Limitationen lassen sich aus den erläuterten wissenschaftlichen Erkenntnissen wichtige Handlungsansätze für die Gesundheitskommunikation ableiten: Zum einen ist es wichtig die Informationskompetenzen zu stärken, vor allem im Umgang mit Informationsüberlastung und Fehlinformationen.
Jun.-Prof. Elena Link sagt hierzu:
“Die hohe Präsenz der Online-Suche nach Gesundheitsinformationen und die Herausforderung von Misinformationen & Co. unterstreichen die Bedeutung der Medien- und Gesundheitskompetenz. International vergleichende Forschung kann dabei helfen neue Wege zu finden, wie entsprechende Kompetenzen gefördert werden könnten.”
Zum anderen müssen Kommunikationsstrategien entwickelt werden, um das Vertrauen in (Online-)Gesundheitsinformationen zu stärken sowie um stark vermeidende Personen anzusprechen (z. B. durch Einsatz relevanter Personen). Zudem können durch aktive Anschlusskommunikation im Privaten vermeidende Personen besser erreicht werden. Diese Handlungsimplikationen können bei erfolgreicher Umsetzung dazu beitragen, die Problematik der Informationsvermeidung einzudämmen und somit einem positiven Beitrag zu einer gesundheitsinformierten Gesellschaft liefern.
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